Medikamente bei Angst und Panikattacken
Der vollständige Leitfaden zu allen verfügbaren Medikamenten - von der Auswahl bis zur Anwendung.
Überblick der Medikamentenlandschaft 2025
Die medikamentöse Behandlung von Angststörungen und Panikattacken hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Von etablierten SSRI und SNRI über innovative GABA-Modulatoren bis hin zu bewährten pflanzlichen Präparaten steht heute eine breite Palette therapeutischer Optionen zur Verfügung.
Medikamentenklassen im Überblick
Erstlinientherapie
- • SSRI (Sertralin, Escitalopram)
- • SNRI (Venlafaxin, Duloxetin)
- • Erfolgsrate: 70-85%
Akuttherapie
- • Benzodiazepine (kurzfristig)
- • Betablocker (situativ)
- • Wirkungseintritt: 15-60 Min
Alternative Optionen
- • Pregabalin, Buspiron
- • Pflanzliche Präparate
- • Neue GABA-Modulatoren
Deutsche Behandlungsleitlinien S3 (aktualisiert 2024)
Empfohlene Behandlungsalgorithmen
Stufe 1: Leichte bis mittlere Angststörungen
- • Psychotherapie als erste Wahl (KVT, tiefenpsychologische Verfahren)
- • SSRI bei Therapiewunsch oder Psychotherapie nicht verfügbar
- • Sertralin oder Escitalopram bevorzugt
- • Mindestbehandlungsdauer: 6-12 Monate nach Remission
Stufe 2: Schwere Angststörungen oder Therapieresistenz
- • SNRI (Venlafaxin) oder höhere SSRI-Dosierung
- • Kombination Pharmako- + Psychotherapie
- • Bei Unwirksamkeit: Wechsel der Medikamentenklasse
- • Pregabalin als Alternative bei GAD
Stufe 3: Schwere, therapieresistente Formen
- • Kombinationstherapien (z.B. SSRI + Pregabalin)
- • Trizyklische Antidepressiva (Clomipramin, Imipramin)
- • Neue Wirkstoffe (GABA-Modulatoren off-label)
- • Spezialisierte Angstsprechstunden
Detaillierte Medikamentenprofile
SSRI - Die bewährten Erstlinientherapeutika
Sertralin (Zoloft®, Gladem®)
Nebenwirkungsprofil (%)
Escitalopram (Cipralex®)
Vorteile
- • Weniger Wechselwirkungen als andere SSRI
- • Gute Verträglichkeit bei älteren Patienten
- • Minimale Gewichtszunahme
- • Flexible Dosierung möglich
Weitere SSRI-Optionen im Vergleich
Medikament | Tagesdosis | Besonderheiten | Hauptnebenwirkungen |
---|---|---|---|
Paroxetin | 20-60mg | Stark sedierend | Gewichtszunahme, Absetzprobleme |
Fluoxetin | 20-80mg | Aktivierend, lange HWZ | Unruhe, Gewichtsverlust initial |
Citalopram | 20-40mg | QT-Zeit beachten | Kardiale Effekte bei >40mg |
SNRI - Für schwere und therapieresistente Fälle
Venlafaxin (Trevilor®, Efexor®)
Dosisabhängige Wirkung
- • 37,5-75mg: Überwiegend serotoninerg
- • 75-150mg: Serotonin + Noradrenalin
- • >150mg: Zusätzlich schwache Dopaminwirkung
Duloxetin (Cymbalta®)
Besondere Anwendungsgebiete
- • Angst + Fibromyalgie
- • Angst + diabetische Neuropathie
- • Angst + chronische Rückenschmerzen
- • Stress-Inkontinenz (off-label)
⚠️ SNRI-spezifische Nebenwirkungen
Häufig (>10%)
- • Übelkeit (30%)
- • Schwitzen (25%)
- • Mundtrockenheit (22%)
- • Verstopfung (15%)
Überwachung erforderlich
- • Blutdruck (besonders bei Venlafaxin)
- • Herzfrequenz
- • Leberwerte (bei Duloxetin)
- • Elektrolyte bei älteren Patienten
Benzodiazepine - Akuthilfe mit Risiken
⚠️ Strenge Indikationsstellung erforderlich
Zugelassene Indikationen
- • Akute schwere Angst- und Erregungszustände
- • Überbrückung bis zum Wirkungseintritt von Antidepressiva
- • Prämedikation vor medizinischen Eingriffen
- • Epileptische Anfälle (Notfalltherapie)
- • Alkoholentzugsbehandlung
Maximale Behandlungsdauer
- • Akutbehandlung: 2-4 Wochen
- • Ausschleichen: Weitere 2-4 Wochen
- • Gesamtbehandlung: Maximal 8 Wochen
Medikamentenvergleich
Medikament | Halbwertszeit | Äquivalenzdosis | Besonderheit |
---|---|---|---|
Lorazepam | 12-15h | 1mg | Keine Metaboliten |
Alprazolam | 12-15h | 0,5mg | Höchstes Abhängigkeitsrisiko |
Diazepam | 24-48h | 5mg | Lange wirksame Metaboliten |
Clonazepam | 18-50h | 0,5mg | Antikonvulsive Wirkung |
Abhängigkeitsentwicklung und Entzugssymptome
Risikofaktoren
- • Dosierung >Äquivalenzdosis
- • Anwendung >4 Wochen
- • Kurze Halbwertszeit
- • Anamnese Substanzmissbrauch
- • Persönlichkeitsstörung
Entzugssymptome
- • Rebound-Angst
- • Schlaflosigkeit
- • Tremor, Schwitzen
- • Konzentrationsstörungen
- • In schweren Fällen: Krampfanfälle
Ausschleichschema
- • Wöchentliche Reduktion um 25%
- • Bei Alprazolam: 10% alle 3-4 Tage
- • Umstellung auf Diazepam möglich
- • SSRI parallel einschleichen
Alternative Medikamente
Pregabalin (Lyrica®)
Studiendaten GAD
- • Responder-Rate: 68% vs. 38% Placebo
- • HAM-A Reduktion: -11,0 vs. -5,6 Punkte
- • Time to response: 7 Tage
- • Auch wirksam bei somatischen Angstsymptomen
Buspiron (Buspar®)
Ideal geeignet für
- • Leichte bis mittlere GAD
- • Ältere Patienten
- • Berufstätige (keine Sedierung)
- • Patienten mit Substanzmissbrauch in der Anamnese
Betablocker - Körperliche Symptomkontrolle
Propranolol - Der Klassiker
Anwendungsgebiete
- • Prüfungsangst: 20-40mg 1h vorher
- • Vorträge/Präsentationen: 10-40mg
- • Musiker/Bühnenkünstler: 40-80mg
- • Vorstellungsgespräche: 20mg
- • Soziale Phobie: 80-160mg täglich
- • Generalisierte Angst: Als Zusatz zu SSRI/SNRI
Pflanzliche und rezeptfreie Optionen
Evidenzbasierte pflanzliche Präparate
Lavendel (Silexan®)
Passionsblume
Baldrian
Johanniskraut
Nahrungsergänzungsmittel mit Studienevidenz
Magnesium
L-Theanin
Ashwagandha
Omega-3
Kombinationsstrategien und Augmentation
Bewährte Kombinationstherapien
SSRI + Bedarfsmedikation
Indikation: GAD mit situativen Angstspitzen
Vorteile: Grundstabilität + Akutschutz
SNRI + Pregabalin
Indikation: Therapieresistente GAD mit somatischen Symptomen
Evidenz: Mehrere positive RCT-Studien
Trizyklika + modernes Antidepressivum
Indikation: Schwere, therapieresistente Panikstörung
Überwachung: EKG, Blutdruck, anticholinerge NW
Antidepressivum + pflanzliche Ergänzung
Indikation: Unterstützung der Standardtherapie
Sicherheit: Keine relevanten Wechselwirkungen
Kostenvergleich und Wirtschaftlichkeit
Medikament | Monatliche Kosten | Zuzahlung Patient | Erfolgsrate | QALY* | Kosten-Nutzen-Bewertung |
---|---|---|---|---|---|
Sertralin 100mg | 20€ | 5€ | 75% | 0.85 | Sehr gut |
Venlafaxin 150mg | 30€ | 10€ | 80% | 0.88 | Sehr gut |
Pregabalin 300mg | 100€ | 10€ | 68% | 0.78 | Mäßig |
Lavendel (Silexan) | 40€ | 40€ | 50% | 0.65 | Teuer, aber verträglich |
Passionsblume | 25€ | 25€ | 45% | 0.60 | Gut für leichte Fälle |
*QALY = Quality-Adjusted Life Years (qualitätsbereinigte Lebensjahre)
Personalisierte Medizin: Der richtige Ansatz für jeden Patienten
Patientenprofil-basierte Medikamentenwahl
Junge Erwachsene (18-30 Jahre)
Mittleres Alter (30-55 Jahre)
Ältere Patienten (>65 Jahre)
Komorbide Erkrankungen
Therapiemonitoring und Erfolgsmessung
Strukturiertes Follow-up
Woche 1-4: Nebenwirkungsmonitoring
- • Wöchentliche Kontakte (Telefon/Praxis)
- • Nebenwirkungserfassung strukturiert
- • Suizidalitäts-Assessment (besonders bei U25)
- • Dosisanpassung bei Unverträglichkeit
- • Aufklärung über temporäre NW
Woche 4-12: Wirkungsbeurteilung
- • GAD-7 oder HAM-A Score alle 2 Wochen
- • Dosisoptimierung bei Partial Response
- • Augmentationsstrategien erwägen
- • Psychotherapie parallel einleiten
- • Adhärenz-Gespräche
Monat 3-12: Stabilisierung
- • Monatliche bis quartalsweise Kontrollen
- • Rückfallprävention-Strategien
- • Lebensqualitäts-Assessment
- • Langzeit-Nebenwirkungen monitoren
- • Absetzplanung frühestens nach 6 Monaten Remission
Objektive Erfolgsmessung
Quantitative Skalen
- • GAD-7: Goldstandard, 7 Items, 0-21 Punkte
- • HAM-A: Clinician-rated, 14 Items, 0-56 Punkte
- • PDSS: Panikstörung-spezifisch, 0-28 Punkte
- • CGI-S/I: Globaler Eindruck, 1-7 Punkte
Funktionelle Parameter
- • WHO-5: Wohlbefinden, 0-25 Punkte
- • Sheehan DSD: Funktionsbeeinträchtigung
- • Arbeitsunfähigkeitstage: Praktischer Outcome
- • Subjektive Lebensqualität: VAS 0-10
Umfassende Patientenerfahrungen aus der Praxis
Anna, 26 - Erfolgreiche SSRI-Therapie
Escitalopram 15mg • 10 Monate"Generalisierte Angststörung seit dem Studium. Angefangen mit 5mg Escitalopram, nach 2 Wochen auf 10mg, seit 3 Monaten 15mg. Erste 3 Wochen waren schwierig - Übelkeit, Schlafprobleme, komisches Gefühl im Kopf. Ab Woche 6 merkliche Besserung, ab Woche 10 richtig gut. Kombiniere mit wöchentlicher Psychotherapie und Sport."
Peter, 42 - SNRI bei therapieresistenter Angst
Venlafaxin 150mg • 14 Monate"Nach Versagen von Sertralin und Paroxetin über 18 Monate Umstellung auf Venlafaxin. Langsam eingeschlichen von 37,5mg auf 150mg retard. Deutlich besser bei körperlichen Symptomen - weniger Herzrasen und Schwitzen. Nebenwirkung: Verstärktes Schwitzen, besonders nachts, aber verkraftbar. Nehme zusätzlich 40mg Propranolol bei wichtigen Terminen."
Maria, 35 - Pflanzlicher Ansatz mit Erfolg
Lavendel + Magnesium • 8 Monate"Wollte erstmal ohne 'chemische' Medikamente probieren. Nehme Lasea 80mg täglich plus 400mg Magnesium abends. Dazu Atemübungen und Yoga. Dauerte etwa 4 Wochen bis deutliche Wirkung spürbar. Bei stressigen Phasen ergänze ich mit Passionsblume-Tee. Für meine leichte bis mittlere Angst völlig ausreichend."
Thomas, 39 - Benzodiazepine Problematik
Lorazepam → Sertralin Umstellung"Bekam bei akuter Panikstörung Tavor 1mg 3x täglich. Anfangs perfekt - keine Panikattacken mehr. Nach 2 Monaten brauchte ich mehr, nach 4 Monaten 2mg 3x täglich. Merkte die Abhängigkeit. Langsames Ausschleichen über 10 Wochen parallel zu Sertralin-Aufbau war die Hölle, aber geschafft. Jetzt 18 Monate stabil mit Sertralin 100mg."
Sandra, 51 - Kombinationstherapie
Duloxetin + Pregabalin • 6 Monate"GAD mit Fibromyalgie-Schmerzen. Nach unzureichender Wirkung verschiedener SSRI Kombination aus Cymbalta 60mg + Pregabalin 150mg 2x täglich. Beide Probleme - Angst und Schmerzen - deutlich besser. Gewichtszunahme von 4kg in 6 Monaten, aber verkraftbar bei der Lebensqualitäts-Verbesserung. Regelmäßige Kontrollen wegen Blutdruck."
Wichtiger medizinischer Hinweis
Diese umfassenden Informationen ersetzen keinesfalls eine individuelle medizinische Beratung.Die Auswahl und Dosierung von Medikamenten bei Angststörungen und Panikattacken erfordert eine sorgfältige ärztliche Bewertung unter Berücksichtigung individueller Faktoren.
Bei akuten Beschwerden oder Suizidgedanken wenden Sie sich umgehend an:
• Ihren Hausarzt oder Psychiater
• Den ärztlichen Bereitschaftsdienst: 116 117
• Bei Notfällen: Notruf 112
• Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222