Der Unterschied zwischen Angst und Panikattacken
Medizinisch fundierte Abgrenzung mit ICD-10 Klassifikationen, diagnostischen Kriterien und klinischen Beispielen für eine präzise Differentialdiagnose.
Wichtige medizinische Unterscheidung
Angststörungen und Panikstörungen sind eigenständige psychische Erkrankungen mit unterschiedlichen ICD-10 Klassifikationen, diagnostischen Kriterien und Behandlungsansätzen. Eine präzise Differentialdiagnose ist für die optimale Therapieplanung entscheidend.
ICD-10 Klassifikationen im Überblick
Angststörungen (F40-F41)
- F40.0: Agoraphobie (mit/ohne Panikstörung)
- F40.1: Soziale Phobien
- F40.2: Spezifische (isolierte) Phobien
- F41.0: Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst)
- F41.1: Generalisierte Angststörung
- F41.2: Angst und depressive Störung, gemischt
Diagnostische Kriterien nach ICD-10
Panikstörung (F41.0)
Hauptkriterien:
- • Wiederholte, unvorhergesehene Panikattacken
- • Plötzlicher Beginn intensiver Angst
- • Höhepunkt innerhalb weniger Minuten
- • Mindestens 4 körperliche Symptome gleichzeitig
- • Anhaltende Sorge vor weiteren Attacken (mind. 1 Monat)
Typische Symptome:
- • Herzrasen, Herzklopfen
- • Schwitzen, Zittern
- • Atemnot, Erstickungsgefühl
- • Brustschmerzen, Übelkeit
- • Schwindel, Derealisation
- • Todesangst, Kontrollverlust
Generalisierte Angststörung (F41.1)
Hauptkriterien:
- • Anhaltende, generalisierte Angst (mind. 6 Monate)
- • Nicht auf spezifische Situationen beschränkt
- • Übermäßige Sorgen über verschiedene Lebensbereiche
- • Schwer kontrollierbare Besorgnis
- • Deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität
Typische Symptome:
- • Motorische Spannung (Muskelanspannung)
- • Vegetative Übererregung (Schwitzen, Herzrasen)
- • Vigilität und Scanning (Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen)
- • Schlafstörungen
- • Müdigkeit, Erschöpfung
Klinische Unterscheidung: Zeitverlauf und Intensität
Panikattacken
- Beginn: Plötzlich, innerhalb von Sekunden
- Dauer: 5-20 Minuten (selten länger als 30 Min.)
- Intensität: Sehr hoch, oft als "Todesangst" erlebt
- Häufigkeit: Episodisch, unvorhersagbar
- Körperliche Symptome: Sehr ausgeprägt
- Auslöser: Oft ohne erkennbaren Grund
Generalisierte Angst
- Beginn: Schleichend über Wochen/Monate
- Dauer: Anhaltend, chronisch (mind. 6 Monate)
- Intensität: Moderat bis hoch, schwankend
- Häufigkeit: Fast täglich vorhanden
- Körperliche Symptome: Mäßig ausgeprägt
- Auslöser: Verschiedene Sorgen und Befürchtungen
Klinische Fallbeispiele
Fall 1: Panikstörung (F41.0)
Patient: Sarah, 32 Jahre, Bürokauffrau
Anamnese: Seit 3 Monaten wiederkehrende, intensive Angstattacken ohne erkennbare Auslöser
Symptomatik: Plötzlich auftretendes Herzrasen, Schwitzen, Zittern, Atemnot und intensive Todesangst. Attacken dauern 10-15 Minuten, treten 2-3x pro Woche auf. Entwicklung einer Erwartungsangst.
Diagnose: F41.0 Panikstörung - erfüllt ICD-10 Kriterien durch wiederkehrende, unvorhersagbare Panikattacken mit mind. 4 körperlichen Symptomen und anhaltender Sorge vor weiteren Attacken.
Fall 2: Generalisierte Angststörung (F41.1)
Patient: Michael, 45 Jahre, Projektleiter
Anamnese: Seit 8 Monaten anhaltende, übermäßige Sorgen um Familie, Beruf und Gesundheit
Symptomatik: Ständige innere Unruhe, Muskelverspannungen, Konzentrationsstörungen, Schlafprobleme. Sorgen sind schwer kontrollierbar und beziehen sich auf verschiedene Lebensbereiche.
Diagnose: F41.1 Generalisierte Angststörung - erfüllt ICD-10 Kriterien durch anhaltende, generalisierte Angst über mindestens 6 Monate mit deutlicher Beeinträchtigung der Lebensqualität.
Differentialdiagnostische Abgrenzung
Wichtige Ausschlussdiagnosen
Medizinische Ursachen:
- • Hyperthyreose (TSH, fT3, fT4)
- • Herzrhythmusstörungen (EKG, Langzeit-EKG)
- • Phäochromozytom (Katecholamine)
- • Hypoglykämie (Blutzucker)
- • Koffeinintoxikation
Psychiatrische Differentialdiagnosen:
- • Spezifische Phobien (F40.2)
- • Soziale Phobie (F40.1)
- • PTBS (F43.1)
- • Depression mit Angstsymptomen
- • Substanzinduzierte Angststörung
Behandlungsstrategien im Vergleich
Aspekt | Panikstörung (F41.0) | Generalisierte Angststörung (F41.1) |
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Psychotherapie 1. Wahl | Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Expositionstherapie | KVT mit Sorgenbewältigungstraining Entspannungsverfahren |
Medikation 1. Wahl | SSRI (Sertralin, Paroxetin) SNRI (Venlafaxin) | SSRI/SNRI Pregabalin bei Therapieresistenz |
Therapiedauer | 12-20 Sitzungen KVT 6-12 Monate Medikation | 16-25 Sitzungen KVT 12-24 Monate Medikation |
Prognose | Sehr gut bei Behandlung 60-80% Remission | Gut bei Behandlung 50-70% deutliche Besserung |
Wichtiger Hinweis
Diese Informationen ersetzen keine professionelle medizinische Beratung. Bei anhaltenden Beschwerden suchen Sie bitte einen Arzt oder Psychotherapeuten auf.